Der Lehrer als Forscher

Erschreckend: Zuletzt sprach ich mit einem Lehrerkollegen, der meinte, er verstünde im Nachhinein gar nicht, warum er im Studium wissenschaftliches Arbeiten hätte lernen müssen. Das brauche er doch jetzt im Lehrerjob ohnehin nicht mehr …

Ich war mittelschwer entsetzt – nicht nur aus dem Grund, dass ich durch meine eigene Forschung logischerweise fast durchgehend wissenschaftlich arbeite, sondern auch, weil bei dem Kollegen offensichtlich der Nutzen von den Methoden, die es gibt, vollkommen verloren gegangen ist.

“Wissenschaftliche” Methoden

Dabei geht es gar nicht darum, großartige Arbeiten und Artikel zu schreiben. Mir geht es vielmehr darum, dass allgemeine (Untersuchungs-)Methoden, die auch im Lehramtsstudium oder in Forschung und Lehre eingesetzt werden, auch in der Schule sinnvoll stattfinden: Diagnosetestungen im Sinne von Pre-/Post-Test-Designs (schuldeutsch: “Lernstandsermittlungen”) sollten in allen Fächern selbstverständlich sein – nicht nur als Klassenarbeiten, sondern als wirkliche Diagnosen, die ermitteln, was die Kinder können und anschließend lernen sollten, um auf ein nächsthöheres Leistungsniveau (schuldeutsch: “Kompetenzniveau”) zu gelangen. Letzterer Fortschritt sollte dann auch durch entsprechende Post-Tests überprüft werden: Was passiert, wenn die Schülerin/der Schüler sich nicht verbessert hat? Was kann man als Alternative einsetzen?

Auch Fragebögen, um den eigenen Unterricht auf Schwachpunkte zu evaluieren, mag manchen Kolleginnen und Kollegen im ersten Moment gar Sorgen oder Angst bereiten. Aber ist es im Gegenteil nicht viel besser, tatsächlich einmal anonymisiertes Feedback von seinen Schülern einzuholen, statt dass man ewig dieselben Methoden einsetzt, von denen man (subjektiv) denkt, dass sie den Schülern Spaß machen und Lernerfolg bringen? Man gibt sich weder Blöße noch muss man Angst haben, von Schülern ein solches Feedback per Fragebogen einzuholen – vielmehr fühlen sie sich dadurch ernster genommen und merken, dass man als Lehrkraft wirklich auch bemüht ist, seinen Unterricht besser zu gestalten. Die Sache ist nur: Wenn man eine solche Evaluation dann durchgeführt hat, muss man auch Konsequenzen daraus ziehen. Wer dies nicht macht, wird schnell unglaubwürdig.

“Wissenschaftliche” Grundlage

Auch muss es selbstverständlich sein, dass man sich als Lehrkraft in seinen Bereichen weiter- und fortbildet anhand angemessener Literatur, Seminaren und Fortbildungsveranstaltungen. In Fremdsprachenfachschaften stehen teilweise noch Fachdidaktiken in Fachschaftsschränken oder -bibliotheken von vor der Jahrtausendwende, obwohl sich gerade in diesem Bereich in den letzten 12 Jahren sehr viel getan hat – in anderen Disziplinen kann ich mir nicht vorstellen, dass es anders ist. Zwar mögen manche fachdidaktischen Ansätze arg hochtrabend oder in der Praxis auch selten 1:1 umsetzbar sein, dennoch finde ich, dass man sich auch aus solchen Ansätzen zumindest Ideen herauspicken kann, die einen im eigenen Unterricht voranbringen. Wissenschaftliche Studien zu Unterrichtsmethoden und neue Didaktiken sollten eher als Materialpool gesehen werden statt als dogmatische und bedrohliche Neuentwicklungen. (Die gewisse Kritikfähigkeit und der persönliche Zugang zu Neuerungen sollte natürlich trotzdem nicht komplett abgeschaltet werden. ;-) )

Der alte Trott

Leider war derselbe Lehrerkollege, den ich eingangs angesprochen habe, weder ein Fan von Diagnosen noch von kompetenzorientiertem Unterrichten und freute sich selbstverständlich schon seit Ostern auf die Sommerferien (Lehrer-Klischee-Alarm!). Auch Fortbildungen hatte er nur besucht, um Fortbildungspunkte zu sammeln – ein “alter Trott” hatte sich bei ihm eingestellt, was ich sehr schade fand. Und das muss nicht sein!

Der Großteil unserer Lehrkräfte ist (Gott-sei-Dank) auch anders gestrickt. Manche wollen nur ein bisschen wachgerüttelt und erinnert werden … :-)

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