Analphabetismus und LRS

Wie die leo-Studie im letzten Jahr gezeigt hat, lebt mit ca. 7,5 Millionen eine in Deutschland erschreckend hohe Zahl funktionaler Analphabeten. Diese hohe Zahl hat unterschiedliche Gründe: Zum einen können es Menschen sein, die eine mangelhafte Schulbildung genossen haben, es können Berufstätige sein, die in ihrem Berufsalltag kaum mit Schriftsprache in Berührung kommen und so das Lesen und Schreiben nicht ständig trainieren. Und es können Menschen mit Migrationshintergrund sein, die in ihrer Heimat keinen ausreichenden Schriftsprachunterricht genossen oder keine alphabetische Schrift gelernt haben und somit vor der Schwierigkeit stehen, mit der deutschen Schriftsprache nur wenig anfangen zu können.

Eine andere Gruppe von funktionalen Analphabeten wurde lange ignoriert: diejenigen, die in ihrer Kindheit eine Lese-Rechtschreibschwäche aufwiesen. Michael Grosche von der Uni Köln hat nun im Rahmen seiner Dissertation “Analphabetismus und Lese-Rechtschreib-Schwächen” (meines Wissens erstmalig in Deutschland) untersucht, inwiefern ein Zusammenhang zwischen LRS und Analphabetismus vorherrscht. Wie er selbst in seinem Vorwort schreibt, ist er mit diesem Forschungsansatz unverständlicherweise auch auf Widerstand gestoßen, Ursachen wie phonologische Bewusstheit auf Analphabetismus zu übertragen. Umso wichtiger ist das Ergebnis seiner Studie: Tatsächlich zeigen auch Analphabeten phonologische Beeinträchtigungen, die auf LRS hinweisen. Grosche empfiehlt folglich als praktische Implikation bereits in Kindergarten und Grundschule besondere Förderung in diesen Bereichen für Risikokinder zu integrieren, um funktionalen Analphabetismus im Erwachsenenalter zu verhindern. Auch seine Forderungen an die Politik, mehr Förderung für Erwachsene zu ermöglichen, geht deutlich weiter, als das, was momentan im Rahmen der Volkshochschulprogramme vorgesehen ist und durchgeführt wird.

Grosches Studie ist gerade für den deutschsprachigen Raum und die Verknüpfung von Legasthenie/LRS- und (Grund-)Bildungsforschung ein höchst wichtiges Werk und gerade mit seinen praktischen Implikationen eine wichtige Lektüre für Forschung und Praxis.

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  • Dieser Blog beschäftigt sich mit der Förderung legasthener oder lese-rechtschreib-schwacher Englischlerner. Hier sollen Lösungen für LRS-Schüler/innen und deren Trainer/innen und Lehrkräfte vorgestellt und diskutiert werden.