Das Kunstwort “Ghoti” und die vermeintlich irreguläre englische Orthographie

Das fälschlicherweise immer George Bernard Shaw zugeschriebene und immer wieder zitierte Kunstwort ghoti soll angeblich zeigen, dass die englische Orthographie besonders unregelmäßig ist, da

  • das <gh> wie in „laugh“ oder „cough“ als [f] ausgesprochen wird,
  • das <o> wie in „women“ (Plural) einem [ɪ] entspräche
  • und das <ti> als [ʃ] wie in den Worten „nation“ oder „martial“ ausgesprochen würde (Quelle: Wikipedia)

Demnach müsste ghoti eigentlich dem Wort fish entsprechen. Allerdings gibt es hier ein deutliches Auslegungsproblem, denn: <gh> wird in Wortanfängen immer als [g], das <o> nur im Wort women mit einem [ɪ] und <ti> wird an Wortenden nie als  [ʃ] gesprochen. Demnach ist zumindest die Begründung anhand des Kunstwortes vollkommen unlogisch.

Dass die englische Orthographie aufgrund seiner Sprachgeschichte tatsächlich unregelmäßiger  ist, wurde hingegen an vielen Stellen gezeigt. Ein interessanter Artikel von Kessler/Treiman in Reading Psychology bricht aber die Lanze dafür, dass die Orthographie lange nicht so unregelmäßig sei, wie immer angenommen. In der Tat wurden in früheren Auszählungen oftmals nur isolierte Grapheme betrachtet und ihre möglichen Phonemrepräsentationen ausgezählt, ohne dabei auf die genaue Umgebung innerhalb der Silben oder Morpheme des Wortes zu achten. Dadurch ergab sich eine ungleich höhere Zahl an Varianten, als wenn man jeweils die angrenzenden Grapheme und damit gewisse Regelmäßigkeiten bei der Schreibweise bestimmter Silben mit einbezogen hätte.

Zwar besteht weiterhin kein Zweifel daran, dass die Graphem-Phonem-Korrespondenzen im Englischen weniger regelhaft sind als z.B. im Italienischen oder Finnischen. Dennoch sollte man sich darüber bewusst sein, dass es trotz allem auch in der englischen Rechtschreibung gewisse (und vor allem lern- und trainierbare!) Regelmäßigkeiten gibt.

In diesem Artikel verwendete Literatur

Kessler, B., & Treiman, R. (2003): Is English spelling chaotic? Misconceptions concerning its irregularity. In: Reading Psychology, 24, S. 267-289.

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Ein Trackback

  1. [...] wieder (auch falsch) zitierten Kunstworts ghoti Rechtschreibprobleme im Englischen begründet, hier nochmal der Link zu meinem Artikel von vor etwa einem Jahr [...]

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